Wenn ihr nicht zufällig Fans von "Orange is the new Black" seid, dann geht es euch vielleicht wie mir und ihr habt euch selten gefragt, was in Gefängnissen auf der anderen Seite der Welt so vor sich geht. Es ist ja auch so weit weg ...
Tatsächlich ist das Gefängnissystem ein heiß diskutiertes Thema in Amerika. Was ich hier in diesem Post berichte, ist nichts Neues, aber in Deutschland sind die Informationen vielleicht noch nicht so verbreitet, deswegen auch der Post. Ich möchte für eine größere "Sichtbarkeit" des Problems sorgen, das irgendwie auch unser Problem ist ...
Aber zunächst muss ich ein bisschen ausholen und euch mit "Geschichtsfakten langweilen", damit ihr die Ausmaße der ganzen Sache versteht. Sehr vereinfacht gesagt hat die Masseneinkerkerung in den USA (mass incarceration) ihren Ursprung in der Sklaverei.
Nachdem diese abgeschafft wurde, gab es 1. eine Masse an ehemaligen Sklaven (und man wusste nicht wohin mit ihnen) und 2. keine freie Arbeit mehr ("frei" hier im Sinne von kostenlos für die Arbeitgeber bzw. Sklavenhalter). Die Lösung war eine Gesetzeslücke, die besagte, das jeder frei war -
außer Kriminelle. In der Zeit nach dem Civil War wurden Schwarze bereits für kleine Vergehen wie Landstreicherei bestraft und mussten im Gefängnis - Überraschung - wieder ohne Bezahlung arbeiten. Mhm, da fragt man sich, inwieweit sich ihre Lebensumstände verbessert haben.
Weiter geht es mit der Unterdrückung: Schwarze Männer wurden mithilfe der Medien als Vergewaltiger und beinahe tierische Bestien dargestellt, woraufhin das Lynchen sehr populär wurde. Ein Schwarzer brauchte einem weißen Mädchen bloß hinterherzuschauen und zu pfeifen und schon konnte sich ein Mob versammeln, der den Mann am Baum aufknüpfte, während die Schaulustigen mit ihren Picknickkörben dabeisaßen und zuschauten. Ekelhaft! ...Aber auch das liegt ja weit in der Vergangenheit, nicht?
Dann folgte die Rassentrennung. Es gab in Bussen Sitzplätze für Weiße und welche für Schwarze, Ärzte für Weiße und ein paar wenige für Schwarze - in anderen Worten, es wurde ein Klassensystem eingerichtet, in dem die schwarze Bevölkerung eindeutig die untere oder zweite Klasse war.
So langsam nähern wir uns der Gegenwart. Politiker gewannen Wahlen, indem sie zunächst Angst in der Bevölkerung vor Verbrechen schürten und dann harte Strafen und einen Krieg gegen Drogen und Kriminalität versprachen. Ausdrücke wie "War on Drugs" waren hierbei Codewörter, denn eigentlich ging es um die Verfolgung der schwarzen und der Latino Bevölkerung, die vorangig im Visier der Polizei stand und härtere Strafen als die weiße Bevölkerung bekam. Politiker pumpten Steuergelder in die Exekutive, ließen Gefängnisse bauen und mehr Polizisten einsetzen, sodass die Masseneinbuchtung entstand.
Heute sitzt jeder vierte Gefängnisinsasse der Welt in einem amerikanischen Gefängnis!
Es gibt in den USA private Gefängnisunternehmen, deren Profit darauf aufbaut, dass Leute verurteilt werden. Diese Unternehmen waren in einer Organisation namens ALEC, die aus Unternehmen und Politikern bestand und Gesetze nicht nur entwarf sondern auch durchsetzte. Im Klartext heißt das, dass Gesetze von privaten Firmen geschrieben wurden! Gefängnisfirmen haben natürlich Gesetze entworfen, die für härtere und längere Strafen sorgten, damit ihre Gefängnisse stetig neues "Futter" bekamen. Das heißt, Menschen wurden für kleine Delikte sehr lange weggesperrt damit diese Unternehmen einen Haufen Geld verdienen konnten. Schockierend oder? Und das ist der Stand von vor ein paar Jahren.
Hinzu kommen die Gewalttaten, die in den Gefängnissen verübt werden - Schlägereien und Vergewaltigungen, sowohl von Insassen gegen Insassen, als auch von Aufsehern gegen Insassen.
Hinzu kommen die Unschuldigen, die im Gefängnis sitzen, weil sie aus Angst vor einer langen Strafe einen sogenannten "Plea Bargain" eingegangen sind; sprich, sie haben sich für schuldig erklärt, bevor es zum Gerichtsverfahren kam aus Angst vor einer längeren Strafe.
Hinzu kommen die armen Menschen, die nur deswegen im Gefängnis sitzen, weil sie sich die Kaution nicht leisten können.
Wenn die Insassen ihre Strafe abgesessen haben, könnte man meinen, dass sie als freie Bürger wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden, aber dem ist nicht so. Je nach Staat haben sie kein Anrecht auf Essensmarken, werden bei Jobs benachteiligt und dürfen nicht wählen. Das heißt, obwohl sie "Buße getan haben", werden sie lebenslang von der Gesellschaft ausgestoßen.
So, das war jetzt ein kurzer und bei weitem nicht vollständiger Umriss der Geschichte der Masseneinkerkerung in den USA. Kommen wir also endlich zu Victoria's Secret. Wie oben bereits erwähnt, mussten die Insassen in Gefängnissen bereits in der Zeit nach dem Civil War umsonst arbeiten. Das ist auch heute so.
Bis es öffentlich wurde, gab es viele namenhafte Hersteller, darunter auch Victoria's Secret, die ihre Mode in Gefängnissen herstellen ließen. Nachdem dieses nicht ganz so süße Geheimnis an die Öffentlichkeit kam, wechselte Victoria's Secret natürlich ihre Lieferanten. Im Klartext heißt das, ein BH, der vielleicht in eurem Kleiderschrank hängt, ist möglicherweise von einem amerikanischen Gefängnisinassen hergestellt worden, der eventuell unschuldig ist und dessen Leben trotzdem ruiniert sein mag.
Kommen wir zur letzten Frage. Was hat das bitte schön mit uns zu tun?
Die USA und ihre Verrücktheiten ... seit Trump kann uns doch eigentlich nichts mehr überraschen oder schockieren, stimmt's? Und überhaupt geht es uns doch nichts an! Mhm, wäre da nicht die Globalisierung und das ein oder andere Victoria's Secret Teil in deutschen Kleiderschränken ... Wäre da nicht eine Angela Merkel, die neben Barack Obama steht, als der zur Todesstrafe interviewt wird.
Und wenn euch das nicht überzeugt, dann vielleicht folgendes: Wann werden die Leute verstehen, dass, wenn ein schwarzes Leben zählt (BlackLivesMatter), dass dann jedes Leben zählt? Es geht nicht nur um "Schwarze" oder "Gefängnisinsassen", es geht darum,
wie wir die Würde des Menschen definieren.
(übersetztes und leicht abgewandeltes Zitat aus dem Film "13th".)
Dieser Blogbeitrag basiert auf dem Film "13th" von Ava DuVernay. Ein sehr empfehlenswerter Film über das System, das hinter amerikanischen Gefängnissen steckt und über die Geschichte der Schwarzen in Amerika. Verfügbar bei Netflix.
Weitere Buch- und Filmempfehlungen:
Bryan Stevenson: Ohne Gnade ("Just Mercy: A Story of Justice and Redemption") - Stevenson ist ein Anwalt, der unter anderem zum Tode verurteilte Gefängnisinsassen vertritt und gegen die Masseneinkerkerung und andere Ungerechigkeiten des Systems kämpft.
Interview zwischen Oprah und Ava DuVernay: Wie "13th" auch auf Netflix zu finden. In dem Interview wird u.a. die Frage gestellt, wie wird sich Amerika unter Trump entwickeln und gibt es noch Hoffnung.
Last Week Tonight mit John Oliver: Auf Youtube gibt es zahlreiche Sendungen und John Oliver behandelt u.a. die Themen "Mass Incarceration", die Todesstrafe und schafft es diese ernsten Themen gleichzeitig lustig und ernsthaft herüber zu bringen (sehr empfehlenswert auch das Video zur Flüchtlingssituation in Europa - einfach mal "Refugees John Oliver" bei Youtube eingeben.)
Am Ende dieses Blogbeitrags möchte ich noch einmal betonen, dass er keineswegs vollständig ist und dieser kurze Abriss der Geschichte beinahe schon moralisch verwerflich ist, eben weil er das Thema so unvollständig anreißt. Eine vollständigere Fassung liefert "13th". Ich wollte mit dem Blogbeitrag einen ersten Gedankenanstoß liefern und auf das Problem aufmerksam machen. Es mag sich um ein amerikanisches Problem handeln, aber in Zeiten der Globalisierung ist es auch unser Problem.
Wir als Menschen sollten uns Gedanken darüber machen, wie unsere Welt aussieht und wie wir unsere Mitmenschen behandeln. Wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, dass wir in "aufgeklärten" Zeiten leben, in denen Rassentrennung oder Rassismus allgemein keine Gefahr mehr darstellt.