Montag, 25. September 2017

MOMO - Was wir aus Kinderbüchern lernen können

Bildquelle: Amazon



Jeder von uns hat schon was von Pippi Langstrumpf mit den roten Haaren oder von Enid Blytons Fünf Freunden gehört, selbst wenn wir die Bücher als Kinder nicht gelesen haben. Vielen ist aber vielleicht gar nicht bewusst, was für Botschaften in diesen Kinderbüchern stecken. Ich fange heute mal mit dem (wie ich finde) krassesten Beispiel für Weisheit und Moral in Kinderbüchern an: Michael Endes Momo. 

Kurz vorweg zusammengefasst: Momo lehrt uns, warum das Zuhören und die Achtsamkeit gegenüber anderen wichtig ist, wie kostbar jede Stunde Zeit ist und dass wir uns ein Beispiel an Kindern nehmen können, die mit staunenden Augen durch die Welt gehen.


Inhalt:

Wer das Buch nicht kennt oder sich nicht erinnert, hier noch einmal die wichtigsten Punkte: Momo ist ein Mädchen, vermutlich eine Waise, das in eine Ruine eines Amphitheaters zieht. Sie wird von den Menschen der Umgebung in die Gemeinschaft aufgenommen und findet in dem Straßenkehrer Beppo und in Fremdenführer Gigi zwei beste Freunde. Auch die anderen Menschen kommen Momo gerne besuchen, denn das Mädchen kann gut zuhören und hat eine lebhafte Fantasie, mit der sie die anderen Kinder mitreißt.

Auftritt graue Herren. Diese finsteren Gestalten machen sich nach und nach in der Stadt breit, verpesten die Luft mit ihren Zigarren und bringen ihre Zeitsparkonten an den Mann. Sie führen den Leuten vor Augen, wie viel Zeit sie angeblich mit sinnlosen Sachen verschwenden und dass sie diese Zeit doch besser in ein Konto bei den grauen Herren einzahlen können. Nach ihrem Besuch vergessen die Menschen die grauen Herren allerdings wieder. Mit der Zeit werden die Leute hastiger, stumpfer und unfreundlicher. Auch Momo wurde von den grauen Herren besucht, aber sie hatte kein Interesse an deren fantasielosem Spielzeug. Allerdings leidet auch sie unter der Anwesenheit der grauen Herren. Mit perfiden Mitteln schaffen es die Bösewichte Momo komplett von ihren Freunden zu isolieren. 

Zum Glück naht die Rettung in Form einer Schildkröte, die auf ihrem Rücken Wörter schreiben kann und die direkt bevorstehende Zukunft sieht. Sie führt Momo zu Meister Hora. Auf dem Weg werden sie von den grauen Herren verfolgt, aber dank Kassiopeia (die Schildkröte) entkommen sie ihnen. Meister Hora erklärt Momo,  dass jeder Mensch für jede Stunde Lebenszeit eine neue Stunden-Blume erhält. Die grauen Herren stehlen diese Blumen und rollen sich aus den Blütenblättern ihre Zigarren. Ohne die Zigarren können die grauen Herren nicht überleben.  Meister Hora sieht nur einen Weg, die grauen Herren zu stoppen. Er hält die Zeit an, damit die grauen Herren sie nicht weiterhin stehlen können. Momo bekommt nun ihre Stundenblume von Meister Hora, um sich in der still gehaltenen Zeit bewegen zu können. Sie hat also genau eine Stunde um die unterirdische Bank der grauen Herren zu finden, die dort eingefrorenen Stundenblätter zu befreien und die Menschen vor der Krankheit, die die grauen Herren verbreiten (die tödliche Langeweile), zu retten. Das gelingt ihr natürlich. Die grauen Herren verschwinden und die Menschen sind wieder ganz die Alten.

Die Symbolik:

Die grauen Herren: Sie stehen für unsere Hektik, für jeden Moment, in dem wir keine Zeit haben, einem Mitmenschen ein freundliches Lächeln zu schenken. Ich habe das Gefühl, die grauen Herren sind in unserer heutigen Zeit allgegenwärtig. Wie oft nehmen wir uns noch die Zeit, die bunten Blumen am Straßenrand zu bewundern oder in den Wolken nach Tierformen zu schauen? Wenn Michael Ende Momo in der heutigen Zeit geschrieben hätte, dann wären die Zigarren der grauen Herren vermutlich piepende, eckige Geräte, auf denen man mit den Fingern herumwischt. Manchmal scheint es so, als ob wir lieber Instagram Fotos von schönen Seen und Bergen anschauen als im Park um die Ecke die grünen Bäume zu bewundern. Wir sitzen zusammen an einem Tisch und unterhalten uns per WhatsApp statt in echt. Wir "liken" am Tag zehn bis zwanzig Bilder, aber wie viele Komplimente sprechen wir tatsächlich aus? Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass ich hier nicht den Moralapostel spielen will. Auch ich "like" Videos bei facebook und verbringe viel Zeit vor dem PC. Und sicherlich ist die Welt nicht so schwarz (oder grau), wie ich sie hier male. Ich möchte bloß nicht, dass sie einmal so wird.

Momo und das Zuhören: Am Anfang des Buches wird Momo von den besorgten Menschen ausgefragt weil sie  a) ein kleines Kind ist, das b) allein in einer Ruine wohnt. Momo sagt selbst, sie glaubt, dass sie schon immer da gewesen ist und nennt als Alter zögernd die Zahl "Hundert".  Wenn man das Buch als Kind liest, denkt man, dass Momo einfach keine Zahlen kennt und nicht weiß, was die Erwachsenen von ihr wollen. Als Erwachsene denke ich, dass es noch eine tiefere Ebene gibt, in der Momo, wie auch die grauen Herren, nicht wirklich existiert (also auch nicht innerhalb der fiktiven Welt). Sie steht allegorisch für das Kindliche, Fantasievolle und die Hoffung in uns allen. 

Was ich am Charakter Momo herausstellen möchte, ist eine ihrer Eigenschaften: das Zuhören!

Der Erzähler selbst schreibt, dass nun mancher Leser sagen wird: Zuhören ist doch nichts besonderes. Das kann doch jeder! Aber wirklich zuhören, das ist eine Kunst, die in Wahrheit nur wenige von uns beherrschen. Momo hört mit Anteilnahme und voller Aufmerksamkeit zu. Sie schaut die Redner mit ihren großen Kinderaugen an und schwupps, schon kommen selbst dummen Leuten schlaue Gedanken. Schüchterne Leute fühlen sich auf einmal mutig und ratlose Leute fassen einen Entschluss, nachdem sie sich bei Momo ausgesprochen haben. 

Zuhören zu können ist eine Eigenschaft, die einen charismatischen Menschen ausmacht, habe ich mal gelesen. Durch Zuhören wirkt man sympathisch. Diese Weisheit, die in vielen Selbsthilfebüchern oder Youtube Kanälen preis gegeben wird, findet sich bereits im Kinderbuch von Michael Ende. Ich empfehle jedem, der jetzt genauer wissen will, was, warum und wie Zuhören wichtig ist, den Anfang von Momo einmal zu lesen. Das Zuhören wird gleich im 2. Kapitel auf eine sehr lebendige und gut verständliche Art und Weise thematisiert.  

Die Stundenblumen: Was für eine Symbolik! Jeder Mensch erhält jede Stunde von Neuem eine kostbare Blume einfach so geschenkt. Eine Stunde Zeit. Nun liegt es an uns, dieses Geschenk zu nutzen. Schätzen wir die Blume wert wie Momo? Sie verschenkt ihre Zeit großzügig, indem die anderen Menschen zuhört und trotz dieses "Verschenkens" ist sie am Reichsten, was die Zeit angeht. Oder versuchen wir die Zeit zu sparen, indem wir unsere Tage mit Terminen vollkleistern? Die Menschen im Buch merken schnell, dass die eingesparte Zeit am Ende des Tages verschwunden ist. Sie denken, die Zeit sei auf ihrem Zeitsparkonto gelandet und würde am Ende ihres Lebens ausgezahlt werden, aber in Wahrheit wird sie von den grauen Herren verraucht.  So ist es auch bei uns. Eingesparte Zeit landet nicht auf einem mysteriösen Konto und wird nicht am Ende des Lebens mit Zinsen ausgezahlt. Deswegen sind wir dafür verantwortlich, in uns zu gehen und aktiv eine Entscheidung zu treffen, was wir mit unseren Stundenblumen machen wollen. 

Warum Kinderbücher?

Ist es nicht verrückt, dass in einem Buch ab 12 Jahren mehr Weisheit steckt als in so manchem Selbsthilfebuch? Und dass ein Buch von 1972 so aktuell ist (wie gesagt, ersetzt man die Zigarren durch Smart Phones hat man ein erschreckend reales Bild des Gesellschaft)? Ich denke oft, dass wir viel von Kindern lernen können. Wie sie mit staunenden Augen durch die Welt gehen, philosophische Fragen stellen und wie sie mit nichts weiter als einem Ball oder einer leeren Plastikdose stundenlang spielen können. Deswegen meine Ermunterung an euch: Lasst euch von Kindern inspirieren. Geht einmal staunend durch die Welt wie sie. Schreibt einmal Kinderfragen auf, wie Warum schrumpeln die Hände beim Baden? oder Warum gibt es braune und weiße Eier? (hat was mit den Ohrläppchen der Hühner zu tun). Geht auf eine Fantasiereise in ein fernes Land, wo es vielleicht auch Schildkröten gibt, die die Zukunft sehen. Und stellt das Smartphone einmal für ein paar Stunden aus und spielt stattdessen mit etwas Simplem wie mit einem Ball. Oder baut eine Burg aus leeren Klopapierrollen. Werdet kreativ ;-) 


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